Passend zur Frankfurter Buchmesse haben wir ein Update der Publikation „Ästhetik des E-Books – Beginn einer Debatte“ herausgebracht. NEU in der aktualisierten Version: Der Artikel „Es geht ums Lesen“ des taz-Autors Johannes Thumfart.
Herausgeber: Das Kuratorium der Electric Book Fair
Erscheinungsdatum Version 1.0: 21.06.2014
Update 2.0: 09.10. 2014
Update 2.1: 15.02.2015
Rezensionen
in: E-Book News, von Ansgar Warner (23.07.2014)
„Nicht per-se Müll: Auf dem Weg zum schönen E-Book“
Mein Beitrag „Schöne E-Book Welt – Ein typografischer Appell“ ist ebenfalls in der Publikation nachzulesen oder hier:
Schöne E-Book-Welt – ein typografischer Appell
Intro – vom schönen E-Buch
Vom „schönen Buch“ zu sprechen ist zunächst sowohl eine ästhetische, kulturelle und zugleich philosophische, persönliche und geschmackliche Frage. Eine Diskussion über Schönheit und dann noch über die Schönheit der Bücher ist in jedem Fall kontrovers. Im Februar schrieb sich ein erfolgreicher deutschsprachiger Typograf und Buchgestalter, Friedrich Forssman, auf dem Logbuch des Suhrkamp-Verlags wohlmöglich die Finger wund, als er versuchte zu erläutern, warum das literarische Werk Arno Schmidts niemals als E-Book erscheinen könne. Darauf folgten über 100 Kommentare und ein Stein kam ins Rollen.
Was mir dabei auffiel war, dass eine Differenzierung der Debatte fehlte. Hier ging alles durcheinander: Vom gedruckten Buch, der Haptik, Digital-Rights-Management (DRM), Vertriebswegen, Online-Shop-Monopolen, Lesegeräten und undurchsichtigen Dateiformaten war hier die Rede. Sascha Lobo wurde zitiert, das „Internet sei kaputt“, aber damit meinte Forssman nicht die visuelle Erscheinung, sondern die Mechanismen der Nutzung und der „Gatekeeper“ des Netzes. Also: Wir reden hier nicht von Webfonts. Die sind eine tolle Erfindung und haben in den letzten Jahren die freiere Gestaltbarkeit von Webseiten und anderen Bildschirmanwendungen möglich gemacht.
Das System „E-Book“
Aber die Schrift selbst ist nur ein Teil von vielen, die das E-Book-System erst möglich und Texte zugänglich machen: Es gibt viele Faktoren, darunter die Funktionen der Lesegeräte, die Software, die für das Lesen eines „schönen E-Books“ ausschlaggebend sind, vom Inhalt des Buchs ganz abgesehen. Daher kommt der Erzeugung der Datei und deren Möglichkeit, Lesbarkeit für den Leser für ein bestimmtes Lesegerät festzulegen, und zwar in Form von typografischer Programmierung, eine besondere Bedeutung zu. Und wer erzeugt diese Dateien? Die vielen TypografInnen, SetzerInnen, BuchgestalterInnen sowie HerstellerInnen in den Verlagen!
Schöne Bücher
Was ein „schönes Buch“ ist, das entscheidet hierzulande die Jury der Stiftung Buchkunst oder der Type Directors Club in New York City. Was ein schönes „E-Book“ ist, das entscheidet allerdings bisher niemand. Darüber wird nur hier und da laut und leise gesprochen.
Die Stiftung Buchkunst „sei dran“ am E-Book-Thema, versicherte mir Karin Schmidt-Friderichs, Vorsitzende im Vorstand der Stiftung und Verlegerin des Verlags Hermann Schmidt Mainz auf der Buchmesse in Frankfurt im Herbst 2013. Ihr Verlag belegt seit vielen Jahren eine Nische im deutschen Buchmarkt und publiziert Bücher zu Typografie und Gestaltung. „E-Books seien ein gutes Thema“, sagt Schmidt-Friderichs, aber sie seien sich in der Stiftung noch nicht einig, wie sie digitale Publikationen bewerten könnten. Ich solle mich noch einmal melden. Ich hinterließ meine Visitenkarte am Counter des Verlagsstands und habe seitdem nie wieder etwas gehört.
Update März 2015: Seit der Frankfurter Buchmesse 2014 stehe ich in engem Kontakt mit der Stiftung Buchkunst. Es gab ein sehr gutes Gespräch mit der Geschäftsführerin sowie der Stiftungsvorsitzenden. Eine Veranstaltung zu „Schönen E-Books“ ist in Planung.
Bücher sind schon lange digital.
Seit 1985 ist das Setzen von Texten vom „digitalen Schreibtisch“ aus möglich. Der damit verbundene Workflow, mit dem wir spätestens beim Drucken einer Word-Datei vertraut sind, nennt man „Desktop-Publishing“, kurz „DTP“ (siehe: „Die Geburtsstunde des Desktop Publishing“, in: Fontblog). Das Prinzip ist simpel: Ein „Inhalt“, also ein Text und eventuell auch Bilder, wird in eine Form gebracht, zum Beispiel auf einer Dokumentseite in Word oder in einem Layoutprogramm. Die Datei wird dann entweder sofort ausgedruckt und ich kann mir das Ergebnis auf dem Papier sofort anschauen, oder – bei einer größeren Auflage oder professionellen Produktion – erstelle ich aus meinen Daten eine Druckvorlage in Form einer PDF-Datei. Diese durchläuft dann einen speziellen Workflow, z. B. in einer Druckerei (Computer-to-Plate-Verfahren), die Daten werden auf Druckplatten digital geschrieben, die Platte wird in eine Druckmaschine gesetzt, Farben kommen hinzu und der Druckvorgang läuft. Das Ganze passiert mittlerweile in hoher Geschwindigkeit. Der Produktionsprozess zwischen Dateiabgabe und fertigem Endprodukt bleibt meist verborgen, so hocheffizient sind mittlerweile die Abläufe.
Was heute schnell geht, das ist das Ergebnis einer Jahrhunderte bis Jahrtausende alten Mediengeschichte. Zwischen dem Einsatz der DTP-Technik und heute liegen gerade mal 30 Jahre. Davor gab es den Fotosatz ab den 1960er-Jahren, und noch weiter zurück den Bleisatz, Handsatz und so weiter. Den Buchdruck als „Ablösung“ des geschriebenen Wortes erfand im 15. Jahrhundert Johann zu Gutenberg.
Im Übrigen durchläuft ein klassischer Roman auch schon seit vielen Jahren die Metamorphose vom Hardcover zum Taschenbuch. Darüber könnten wir auch sprechen, machen wir aber nicht mehr, da das Taschenbuch gesellschaftlich akzeptiert ist. Jetzt ist das E-Book dran!
Was bedeutet das nun für das Buch? Aus der Medien- und Herstellungsgeschichte wird deutlich, dass wir uns schon lange in der Zeit der Digitalisierung befinden und dass das ausschließliche digitale Lesen, oder ergänzende digitale Lesen, eine logische Entwicklung ist. Folgte aus der Datei ein Papierprodukt, bleibt beim E-Book die Datei im Digitalen, wird in Programmen ausgelesen und auf Lesegeräten ausgegeben. Das Standardformat ist das sogenannte ePub, das eine angepasste Darstellung auf unterschiedlich großen Lesegeräten ermöglicht. Leider ist das Format nicht überall als Standard eingesetzt, was dazu führt, dass digitale Buchdateien in viele andere Formate konvertiert werden müssen.
Was ist es, das ich bei der Herstellung von ePubs bedenken muss und was zu meinen bisherigen Arbeitsschritten hinzukommt?
- Arbeiten in Pixeln statt in Millimetern.
- Jedes Absatzformat erhält einen Export-Tag, der hinterher als CSS ausgegeben wird.
- Es zählt nicht, was ich sehe, sondern was ich programmiere: Was soll mit dem Text passieren, z. B. „Diese Überschrift soll immer auf einer neuen Seite beginnen“ oder „Dieses Bild soll mittig stehen“, „Dieses Wort soll kursiv sein“, „Hier soll ein Link auf diese Webseite hinterlegt sein“, „Dieser Teil soll im Inhaltsverzeichnis wiedergefunden werden“.
- Beim Export der ePub-Datei muss ich, ähnlich wie beim PDF-Export, darauf achten, dass alle meine Angaben, die ich im Dokument festgelegt habe, mit exportiert werden: Hier kann ich beispielsweise entscheiden, ob Schriften eingebettet werden sollen oder nicht.
- Jetzt fehlt noch der Feinschliff, den man z. B. mit dem Open-Source-Programm Sigil machen kann. (Achtung: Programm wird nicht weiterentwickelt!) Hier muss man ein einziges Mal in einen xml-Code hineinschreiben. Es werden Metadaten ergänzt (das geht bequem über ein Eingabefeld), das Inhaltsverzeichnis wird angepasst, einmal validieren und fertig ist das ePub.
- Das Validieren nicht vergessen! Hier kommt man mit Sigil leider nicht weiter und muss die letzten Zeilen Code nach der Validierung (z.B. mit dem „epub-checker“ in einem anderen Editor schreiben.
Erstaunlich für mich war, dass ich einfach nur ein paar Kniffe zu meinen bisherigen Arbeitsschritten hinzunehmen musste und schon hatte ich eine Datei, die ich bequem auf meinem Smartphone lesen und meiner Lesegewohnheit entsprechend anpassen konnte.
Es war keine Zauberei. Die zentrale Erkenntnis: Buch und E-Book unterscheiden sich in der Dateierstellung gar nicht so sehr.
Technologischer Fortschritt lässt sich nicht aufhalten.
Sollen sie doch alle schreien und mit den Armen fuchteln: Digitaler Fortschritt und die damit verbundenen Veränderungen unserer Lebensweisen können wir nicht aufhalten, und wollen es vielleicht auch gar nicht. Typografen können diesen Fortschritt ebenso wenig verlangsamen wie verhindern. Sie können sich ihm nur entziehen und sich selber aus einer Welt schließen, die sich verändert und sich schon immer verändert hat, mal schneller und mal langsamer.
Meinen StudentInnen stellte ich neulich die Frage, wie sie die technologische Entwicklung und die damit verbundene Geschwindigkeit der Entwicklungen einschätzen. Eine Studentin antwortete: „Ist doch total normal.“ Zustimmendes Nicken, bestätigende Blicke von allen Seiten. „Beeindruckend“, dachte ich. Nur bei der Frage, ob sie auch E-Books lesen, bekam ich eine sehr drastische Antwort, allerdings ohne starkes Nicken der anderen Kommilitonen: „Ich hasse E-Books“, sagte eine Studentin. Für das wissenschaftliche Arbeiten seien digitale Bücher aber o. k. Ein paar Studenten meldeten sich dann aber doch. Sie läsen digital, auch privat.
Lesbarkeit rules.
Lesen ist ein ästhetisches Vergnügen. Aber Bücher sind nicht per se schön. Wenn ein Buch „lesbar“ gestaltet ist, dann ist es viel einfacher, den Inhalt zu verstehen. (Siehe dazu die Debatte zur Typografischen-DIN-Norm im PAGE-Magazin, geführt von Verena Gerlach u. a.)
Wenn wir aber das Wörtchen „schön“ durch ein anderes, nämlich durch „Lesbarkeit“ ersetzen, dann kommen wir der Gestaltung von E-Books und der notwendigen typografischen Auseinandersetzung mit den digitalen Publikationen schon näher.
Es geht um die Gliederung eines Textes bzw. eines Inhalts. Es gibt beim E-Book immer noch sehr, sehr viele Parameter in der Produktion oder im „Satz“, mit denen man einstellen kann, dass ein Text lesbar(er) wird.
Viele sagen ja: Beim E-Book kann man doch nichts gestalten! Das ist erst mal nicht besonders anders als auf dem Papier. Und da stehen bei einem Roman z. B. auch nur Buchstaben auf einer weißen Seite. Webseiten und andere digitale Anwendungen werden ja auch gestaltet und da ist es normal, dass man nicht mit fixen Layouts arbeiten kann, sondern alles vom Browser, der Bildschirmauflösung usw. abhängt.
Comicmacher und Illustratoren sind oft in beiden Welten zuhause und veröffentlichen crossmedial. Ihre Arbeiten entstehen häufig auf dem Papier, mit Tusche und sonstigen Farben. Dann werden diese digitalisiert und weiterbearbeitet.
Bücher und E-Books sind für alle da.
Wir sind für offene Software und offene Standards. Open Access im Lesebetrieb. Wir wollen keine vollständige Kommerzialisierung der weltweiten Buchlandschaft. Wir wollen gute Bücher und E-Books zu einem fairen Preis, zu optimalen Lesebedingungen. Für alle. Wir wollen, dass sich gute Texte, Lesenswertes für unsere hungrigen Hirne verbreiten kann. Barrierefrei. Für Blinde und Taube, für Kurzsichtige und Menschen mit wenig Platz für große Bücherwände.
Zwei Positionen
In der Debatte um die Bedeutung der Typografie von E-Books oder die Gestaltung von (digitalen) Büchern per se finden sich gegensätzliche, aber auch anschlussfähige Positionen, die ich hier nun nacheinander vorstellen möchte. Zu Beginn die „Semi-Anti-Position“ (1) von Judith Schalansky, die zwar kritisch ist, aber den E-Books eine Chance gibt, gefolgt von den Anti-Positionen (2) Forssmans und eines Buchhändlers. Schließlich die „offene Position“ (3), in der sich Forssman erneut wiederfindet, neben dem leider schon verstorbenen Hans Peter Willberg, der mit viel Weitsicht schon vor mehreren Jahren eine Weiterentwicklung des Buchs als typografisches Objekt prophezeite.
1. Die Semi-Anti-Position
(Siehe dazu ARD-Interview vom 15.03.2013, in: Titel, Thesen, Temperamente, ab Minute 4:40; mit Denis Scheck und Judith Schalansky, Autorin und Buchgestalterin).
Scheck: „’Diese Zeiten’. Damit ist natürlich nichts anderes gemeint als das etwas unglücklich benannte E-Book. Nämlich die Infragestellung des Gutenbergmediums Buch durch diese neuen Publikationsformen, sei es Internet, sei es E-Book, sei es E-Reader usw. Wie ist denn da Ihre Meinung dazu? Muss das Buch darauf reagieren? Gehört denn dem Gutenbergmedium Buch überhaupt noch die Zukunft?“
Schalansky: „Ja, erst recht. Jetzt erst recht. Und ich meine das nicht als Kampfansage, überhaupt nicht. In dem Moment, wo wir ein konkurrenzfähiges Medium haben, was auch Inhalte, Textinhalte transportieren kann, was oftmals auch, wenn man Fernreisen unternimmt, deutlich Vorteile aufzuweisen hat, nämlich was die Mobilität angeht, in dem Moment wird der Markt breiter und ist das Buch sozusagen davon befreit, alles selber tragen zu müssen. Das heißt, statt Taschenbüchern haben wir in Zukunft natürlich die elektronischen Bücher. Ich bin sicher, dass sich die E-Books noch dahingehend entwickeln, dass sie ein ganz eigenes Medium werden, das wir auch gar nicht mehr von so was Blödem wie ‚E-Book’ reden, was sozusagen nur als Substitut gedacht ist. Das wäre so in etwa wie die Handschriften. Das ist auf eine Weise auch ein anderes Medium als die Bücher, die dann Gutenberg gedruckt hat. Also, da wird was passieren und da werden Erzählformen heranwachsen. Ich stelle mir so eine Mischung zwischen Comic, Film und Literatur vor.“
Ein halbes Jahr zuvor äußerte sich Judith Schalansky im Blog Typewerk zu ihrem Buch Der Hals der Giraffe folgendermaßen:
Typewerk: „Hattest du auch Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der eBook-Version?“
Schalansky: „Es hat mich nicht interessiert.“
Typewerk: „Stehst du eBooks grundsätzlich optimistisch oder eher skeptisch entgegen?“ Schalansky: „Ach, für gewisse Inhalte ist es schon ganz gut, dass sie gut verschlagwortet und leicht transportierbar zugänglich gemacht werden. Nicht für jede Doktorarbeit, nicht für jeden Unterhaltungsroman sollten Bäume sterben müssen.“
Interessant bei Schalansky finde ich, dass sie bei aller Hingabe und Liebe zum gedruckten Buch: Einband, Lesebändchen, ausgewählten Papiersorten und aufwändiger, aber liebevoller Covergestaltung, die digitale Entwicklung nicht per se negativ bewertet. Sie macht stets ihre eigene Position klar („das hat mich nicht interessiert“), differenziert („ich meine das nicht als Kampfansage“) und gibt einen Ausblick („Ich bin sicher, dass sich die E-Books noch dahingehend entwickeln, dass sie ein ganz eigenes Medium werden“).
2. Die Anti-Positionen
Es gibt Buchgestalter, die sehen die E-Book-Entwicklung grundsätzlich negativ. In dem schönen Heftchen Was ist ein Buch?, herausgegeben vom Institut für Buchkunst in Bielefeld 2013 und ausgezeichnet vom Type Directors Club New York für exzellente Typografie, heißt es gleich zu Beginn in einer „Position“ von Forssman: „Ich erlebe keinen aktuellen Wandel. Ich sehe in Bezug auf das E-Book unbegründete Ängste, unbegründete Hoffnungen und eine Realität, in der es kaum existiert – und wo doch, da als banales Spielzeug.“
Und weiter: „Ich nutze keine E-Books und lese keine Texte im Internet.“ Er schließt: „Dem Buch wird es weiterhin bestens gehen, dem E-Book hoffentlich weiterhin schlecht. Es mag seine Nischen finden, aber diese Nischen interessieren mich nicht – nicht als Leser, und schon gar nicht als Gestalter.“
Mich würde interessieren, was Forssman in fünf Jahren sagen wird. Vielleicht ist das dann mit den E-Book-Kritikern so wie mit allen anderen Technik-Fortschritt-Skeptikern. Vielleicht werden wir andere Dateiformate haben, bessere, aber wir werden mehr und mehr mit kleinen Geräten rumlaufen, auf denen wir Netzempfang haben und auf denen wir lesen, und zwar alles mögliche. Texte und Bilder, Videos usw. Das mobile Internet und das „Internet of Things“ sind längst da (siehe „Mobile First“).
Was mich grundsätzlicher an dieser gefühlt anachronistischen Debatte nervt, ist Folgendes: Wenn diejenigen, die wirklich erfolgreich in ihrem Beruf sind und etwas erreicht haben, meinen, dass man die nächsten Schritte nicht mehr machen müsse. Klar, sie sind sicher in ihrem Arbeitsfeld und haben sich einen Namen gemacht. Eine Schalansky und ein Forssman haben das geschafft.
Wer sich in die technologische Fortentwicklung hineinbegibt, riskiert schließlich auch etwas, denn es herrscht zunächst Unsicherheit und man macht viele Fehler. Das muss man wollen.
Bei Forssman geht es um etwas anderes: Um seine Gestalterhoheit, um das Bewahren des „Eindeutigen“ und Absoluten. Das ist das Gegenteil von „Fehler machen“ und „Unsicherheit ertragen“. Und es geht hierbei auch noch lange nicht um die Perspektive des Lesers oder der Leserin. User Centered Design klingt zwar logisch, aber wer es ernst meint, berücksichtigt diesen Designansatz schon in der „Programmierung“ der zu gestaltenden Dinge. Was für Webdesigner schon lange gilt, betrifft jetzt auch die GestalterInnen von digitalen Publikationen.
Auf dem Papier konnten Typografen und Buchgestalter bisher immer noch bestimmen, was und wie der Leser es zu sehen bekommt. Das war zwar nicht mehr „in Stein gemeißelt“ wie bei den Römern, aber immerhin fest aufs Papier gedruckt und da hatte es auch genau so mit jedem Pica und Punkt zu stehen.
Bei der Ebook-Typo müssen Gestalter Kontrolle abgeben. Und das will so ein Forssman nicht. Aber „out of control“ sind E-Books ja auch nicht, denn man kann und muss immer noch vorgeben, was mit dem Text passieren soll, aber es ist eben nicht mehr absolut. Gestalter dürfen nur noch den Rahmen festlegen, was wann wie passieren soll. Danach entscheidet die Technologie des Readers und dann der Leser.
Was es typografisch im E-Book zu gestalten gibt:
Hier ein PDF (das zwar nicht schön ist, aber der Inhalt stimmt), in dem beschrieben ist, welche typografischen Überlegungen in einem E-Book stecken (via www.pagetoscreen.net).
Erste Hilfe Typografie (1999)
Das Buch ist von Hans Peter Willberg und (seinem früheren Studenten) Friedrich Forssman, dessen Position an anderer Stelle bereits dargestellt wurde. Es war das erste Typobuch, das ich mir kaufte. Und ich las es von vorne bis hinten in einem Rutsch durch. Ich sog es auf. Es ist aus dem Jahr 1999, dem Jahr, in dem ich mein Studium begann. Im Vorwort der beiden Autoren heißt es:
„Dieses Buch hättet Ihr nicht machen sollen, sagten uns manche Kollegen aus der professionellen Typografenszene. Wenn ihr Anfängern und Laien erklärt, worauf es ankommt, werden sie alles selber machen und wir Profis verlieren die Kunden.“
Fünfzehn Jahre später ist das Selbermachen nicht mehr aufzuhalten. Wir reden gar vom „Selfpublishing“. Autoren machen ihre Bücher selber und entscheiden auch über ihre Typografie. Im Buch heißt es weiter:
„Wir, die Autoren und Verleger, denken, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Selbermachen ist längst üblich, die Ereignisse sind oft fragwürdig, weil die Laien-Typografen nicht sehen, was nicht stimmt und nicht wissen können, worauf es ankommt. So gewöhnt man sich an falsche und schlechte Typografie“.
Und worauf kommt es an? Sie schreiben weiter:
„Wenn man aber erklärt, worauf es ankommt, entsteht vielleicht ein Gefühl für Typografie: die Leute merken, wo es nicht stimmt, und lernen, die Arbeit professioneller Typografen zu erkennen und zu würdigen. Daraus ergibt sich dann die Einsicht, dass es viele Bereiche gibt, die man besser den Profis überlässt – aber auch so manchen Bereich, den man mit Vergnügen selber bewältigen kann.“
Habe ich da richtig gelesen? Das Buch ist für die DIY-Bewegung und dann kann jeder selber entscheiden, ob es doch eher am Ende der Profi macht, wie bisher, oder ob man Freude daran findet, selber zu machen. Guter Ansatz. Kluges Konzept. Schlüssige Rolle für den Gestalter. Aber was macht Forssman jetzt?
Jetzt könnte er das damals Geschriebene genau auf die E-Book-Typografie anwenden, aber er scheitert kläglich. Was ist passiert? Hans Peter Willberg ist vor ein paar Jahren im hohen Alter verstorben. Ihn noch einmal zum E-Book zu fragen, das täte der Debatte bestimmt gut. Sein einstiger Student hat scheinbar keine große Lust auf die neue Entwicklung.
Typolemik (2000)
Der Herausgeber von Typolemik, Hans Peter Willberg – Schüler des legendären deutschen Grafikdesigners Willy Fleckhaus, der nicht nur dem Suhrkamp-Verlag eine visuelle Radikalkur verpasste –, zeigte bereits 2000 eine Haltung, die noch heute progressiv ist. Willberg schreibt im Kapitel „Zur Zukunft des Buches“:
„Am meisten Papier wird für Produkte verbraucht, die getrost von der Bildfläche verschwinden würden, vielmehr: die getrost vom Papier auf die Bildfläche wechseln dürfen. Wenn ich demnächst ein einzelnes Blatt in der Hand halten kann, auf das ich per Klick die Bild-Zeitung – Sensation für Sensation – projizieren lassen kann oder die Fußballergebnisse oder die Börsenkurse und gleich darauf ist per Klick alles wieder verschwunden – wäre das nicht ein Segen für die Menschheit, für die Papierkörbe und die Wälder?“
Ein kluger Gedanke, den Willberg da entwickelt. Zentral in seinen Ausführungen ist die Antwort auf die Frage „Gutenberg am Ende?“:
„Gelesen wird so viel wie eh und je, nur anderes und anders. Es ist ein Fehler, Gutenberg und alles, was wir von ihm und nach ihm gelernt haben, zu vergessen. Gutenberg ist nicht aufs Papier fixiert. Die Lese-Erfahrung von Millionen und Abermillionen „Papier-Lesern“, das, was daraus sich für Schrift und Typografie ergeben hat, kann auf die Bildschirm-Typografie übertragen werden. Nicht in der unreflektierten Übernahme von „Regeln“, sondern mit der Frage, die allein zu guter Typografie führt: Wie soll das gelesen werden, was sind dafür die richtigen Mittel. So haben es alle guten Typografen seit Gutenberg gemacht. Gutenberg am Ende? Am Ende Gutenberg!“
Kurzum: Die E-Book-Debatte ist komplex, Differenzierung sinnvoll. Ein möglicher Ansatz: Von innen nach außen denken – von der Mikrotypo zur großen Welt. Daraus schließe ich: Wir brauchen eine neue Diskussion, wir brauchen Kriterien, was ein „schönes E-Book“ im Jahr 2014 2015 ist, unter Berücksichtigung von bereits bekannten Parametern. Erstens: Es gibt noch keine klaren Kriterien. Zweitens: Wir brauchen diese Kriterien. Gestalten wir sie.
Andrea Nienhaus